Die Böckchenkastration - ein dringender Appell

Hier möchten wir nun ein ernstes Thema ansprechen, über das jeder Meerschweinchenhalter Bescheid wissen sollte: die Böckchenkastration. Leider gibt es über dieses Thema noch zahlreichende kursierende Vorurteile, die in manchen Fällen zu unnötig traurigen Tierschicksalen führen. Auf diese Folgen, nicht nur für Tierheime und Notstationen wie uns, vor allem aber für die betroffenen Tiere selbst, wird später noch eingegangen, zunächst möchten wir hier über die 3 gängigsten Vorurteile aufklären, die man immer wieder zu hören bekommt.

Vorurteil 1: Kastrate sind keine „richtigen Männer“ mehr

Bei einer Böckchenkastration werden die Hoden operativ entfernt, nicht aber der Penis. In den Hoden werden die Androgene, die Geschlechtshormone produziert, deren Hauptvertreter das Testosteron ist. Da die Kastration im Gegensatz zur Frühkastration (dazu später mehr) im Erwachsenenalter erfolgt, ist die sexuelle Entwicklung des Böckchens bereits abgeschlossen, die Sexualorgane sind ausgebildet. Zusätzlich zu den Hoden bilden zudem auch die Nebennierenrinden kleine Mengen an Testosteron. Kastrate zeigen definitiv männliches Verhalten, auch der männliche Sexualtrieb ist weiterhin stark ausgeprägt. Manchen Kastraten müssen sogar eine größere Anzahl Weibchen zur Seite gestellt werden, da sie ihren Sexualtrieb sehr häufig ausleben. Kastrate sind also offenbar nicht geschlechtslose Individuen, sondern definitiv "richtige Kerle". ;)

Vorurteil 2: In Böckchengruppen müssen die Jungs nicht kastriert werden

Der naheliegendste Grund einer Böckchenkastration ist natürlich die Vermeidung von unerwünschtem Nachwuchs. Wird jedoch eine Böckchengruppe gehalten, fällt dieser Grund (zunächst) weg. Auch wenn Böckchengruppen nicht der natürlichen Haltungsform, die in einer Haremsgruppe aus einem Böckchen und mehreren Weibchen besteht, entsprechen, sehen wir sie doch als adäquate Lösung an, um auch den vielen statistisch übrigbleibenden Buben ein schönes Leben in einer Meerschweinchengruppe zu ermöglichen. Mehr dazu findet ihr HIER in unserem Artikel „die Bockproblematik“. Hierbei gibt es einiges zu beachten, nicht jedes Böckchen ist für die Bockgruppenhaltung geeignet. 

Meist werden Anfängern junge unkastrierte Böckchen mit Worten wie „sie verstehen sich gut, sie streiten nicht“ oder „sie sind Brüder, natürlich klappt das!“ verkauft. Anfangs wird das meist gut gehen (und in seltenen Fällen bleibt dies auch so). Durchlaufen die Tiere aber die als „Meerschweinchenpubertät“ zu verstehenden Rappelphasen, wollen sie ihre Rangordnung klären und es kann zu sehr ernsten, teilweise blutigen Auseinandersetzungen kommen, eine Verwandtschaft spielt hierbei keine Rolle.

Sind die Tiere jedoch kastriert, kann dieses Revier- und Rangordnungsverhalten dadurch durchaus positiv beeinflusst werden. Die Tiere haben eine bessere Chance, sich zu einer harmonischen Gruppe zusammenzufinden. Wie zuvor erwähnt, sind natürlich auch weitere Faktoren wichtig, wie genügend Platz, eine böckchengerechte Einrichtung, sowie das Vorhandensein eines Erziehertieres, doch mit der Kastration wird eine gute Grundlage geschaffen. Wie in allen Konstellationen kommt es natürlich auch auf die Charaktere der beteiligten Tiere, sowie die „Chemie“ unter ihnen an.

Hält man eine harmonische Böckchengruppe, muss man aber auch an die Zukunft denken. Möchte man ein neues Tier in die Gruppe hineinvergesellschaften oder einem übrig gebliebenen Böckchen nach dem Tod seines Partners wieder neue Gesellschaft zur Seite stellen, ist es ebenfalls sehr von Vorteil für das Gelingen der Vergesellschaftung, wenn die beiden (bzw. alle) Jungs kastriert sind. Gewöhnlich dauert eine Vergesellschaftung unter Böckchen etwas länger, da die Jungs eben doch „richtige Böcke“ sind mit dem zugehörigen Verhaltensspektrum und Trieben, doch kann die Kastration erfahrungsgemäß ein wenig „die Schärfe“ aus diesem Prozess nehmen und den Weg erleichtern.

Patenbub Baggy verstand sich auf Anhieb super mit seinem inzwischen verstorbenen Partner Finley. Nach Finleys Tod konnte Baggy aber auch gleich mit einem Weibchen vergesellschaftet werden.

Aber auch der Fall, dass eine Vergesellschaftung nicht funktioniert, muss eingeplant werden. In diesem Fall – wie auch im Fall der Haltungsaufgabe, wenn ein Böckchen übrig bleibt – haben es Kastrate leichter. Kastrate können nämlich direkt mit Weibchen vergesellschaftet werden! Soll also für einen übrig gebliebenen Bock ein neues Zuhause gefunden werden, sind die Chancen für Kastraten deutlich höher. Egal, ob das Tier von einer verantwortungsvollen Privatperson oder im Tierschutz aufgenommen wird, wird im Sinne des Tierschutzgedankens (dazu später mehr) ohnehin eine Kastration anstehen. Die Kastrationsfrist (6 Wochen) muss das Böckchen dann aber alleine absitzen, was für ein soziales Gruppentier enormen Stress bedeutet. Zudem werden so Aufnahmekapazitäten blockiert, was dazu führt, dass die Wartezeit für andere Böckchen entsprechend länger ausfällt.

Man sollte zudem bedenken, dass die Risiken des Eingriffs bei einem jungen, gesunden Tier deutlich geringer sind, als bei einem älteren Tier. Sollte ein älteres Böckchen übrig bleiben, wird das Tier also unnötig einem höheren Narkoserisiko ausgesetzt, als wenn es in jungen Jahren bereits kastriert worden wäre. Doch auch ältere Böckchen können natürlich noch kastriert werden, mehr dazu im folgenden Punkt.

Vorurteil 3: Kastrationen sind gefährlich und teuer

Eine Kastration ist eine Operation, die unter Vollnarkose durchgeführt wird. Damit sind natürlich wie bei jeder anderen Operation Risiken verbunden. Zum einen besteht ein Narkoserisiko. Dieses ist jedoch sehr gering, da der Eingriff sehr schnell geht, der Körper nicht geöffnet werden muss und das Tier nicht lange in Narkose bleiben muss. In unserer fast 15-jährigen Vereinsgeschichte ist die Zahl der Tiere, die nach dem Eingriff nicht aufgewacht oder unmittelbar danach verstorben sind, äußerst gering. Beste Voraussetzungen werden geschaffen, wenn die Tiere jung und gesund sind, doch auch ältere Tiere können noch kastriert werden, wobei das Risiko zumeist als höher eingeschätzt wird.

Eine mögliche, nicht sehr häufige Komplikation der Kastration ist die Abszessbildung. Hierbei entsteht an der Kastrationsnarbe eine Entzündung, die jedoch in der Regel gut zu behandeln ist und durch gute Versorgung der Wunde nach der Operation meist vermieden werden kann.

Achtung, die geringen Risiken beziehen sich ausschließlich auf eine fachgerecht durchgeführte BÖCKCHENkastration! Auch die Kastration eines Weibchens ist möglich, diese ist jedoch nur in Ausnahmefällen (z.B. Veränderungen der Gebärmutter, austherapiertes hormonelles Ungleichgewicht u.a.) indiziert und wird meist vermieden. Bei einer Weibchenkastration dauert die Operation wesentlich länger, das Tier muss geöffnet werden, was Wundheilungsrisiken und ein höheres Infektionsrisiko beinhaltet und die Narkose dauert dadurch natürlich länger.

Frische Kastrationswunde eines Böckchens (links) vs. Kastrationsnarbe eines Weibchens (rechts)

Manche Halter schrecken vor den Kosten einer Kastration zurück. Diese sind unterschiedlich je nach Tierarztpraxis, was sich durch unterschiedliche Narkosearten und die genaue Art der Durchführung erklärt. In der Regel liegt die Summe für eine gewöhnliche Böckchenkastration beim Meerschweinchen aber unter 100 Euro. Diese einmalige Investition tätigt ihr aber in ein zufriedenes Leben und in die Zukunft eurer Böckchen! Zudem sollte sich jeder Meerschweinchenhalter bewusst sein, dass in Laufe eines Schweinchenlebens einiges passieren kann, was zu höheren Ausgaben führt. Diese Überlegungen sollten auf jeden Fall bei der Wahl von Meerschweinchen als Haustiere, unabhängig von ihrem Geschlecht, berücksichtigt werden.

Allgemein spricht auch der Tierschutzgedanke für eine Böckchenkastration. Ungewollte oder auch unwissend durchgeführte Vermehrungen haben oft schwerwiegende Folgen: Ohne Kenntnis der Genetik und der Abstammung der beteiligten Tiere werden manchmal missgebildete oder nicht lebensfähige Tiere geboren.

Patenschweinchen Miss Moneypenny hat als Produkt einer Inzuchtvermehrung mehrere Missbildungen: ein Teil ihres Unterkiefers samt Schneidezähnen fehlt, eine fehlende Pfote und zwei deformierte Pfötchen.

Aber viele Halter sind auch überfordert, für die vielen jungen Meerschweinchen ein gutes neues Zuhause zu finden, sodass dadurch Tiere unwissentlich in schlechte Haltungsbedingungen kommen oder gar als Futtertiere enden. Die beteiligten unkastrierten Böckchen fristen außerhalb der Verpaarungszeit zudem oft ein einsames trauriges Leben, was für soziale Gruppentiere als nicht artgerecht erachtet und nach §2 des Tierschutzgesetzes sogar verboten ist.

Kommt es doch einmal zu einem Unfallwurf, können die kleinen Böckchen auch frühkastriert werden, um bei der Mutter bleiben zu können und so ein gutes Sozialverhalten im Gruppenleben zu erlernen. Informationen rund um die Frühkastration von Meerschweinchen findet ihr HIER auf unserer Homepage.

Für die Notstationen und Tierheime stellt die „Flut“ an abzugebenden unkastrierten Böckchen große Herausforderungen dar. Wie zuvor beschrieben, führt das notwendige Absitzen der Kastrationsfrist zu einem „Stau“, da Gehege blockiert werden und damit die Wartezeit für andere Böckchen stark verlängert wird. Die Warteliste für Bockplätze ist deshalb bei uns meistens sehr lang.

Da der Tierschutzgedanke bei uns natürlich im Vordergrund steht, werden selbstverständlich alle aufgenommenen Böckchen kastriert, was in Summe mit erheblichen Kosten verbunden ist und nicht durch die Abgabegebühren gedeckt wird. Deshalb suchen wir für unsere Böckchen auch immer Kastrationspaten, die uns und die Böckchen bei diesem wichtigen Schritt unterstützen. Wir bieten sowohl halbe als auch ganze Kastrationspatenschaften zu 25€ bzw. 50€ an. Mehr Informationen zu diesem Thema findet ihr HIER.

Wir möchten uns an dieser Stelle ganz herzlich bei allen bedanken, die eine Kastrationspatenschaft übernommen haben oder ihr Böckchen vor der Abgabe kastrieren ließen!

Patenbub Silvester Stallone (links im Bild) und Patenbub Herr Karlson (rechts im Bild) wurden im Alter von 6 bzw. 5 Jahren problemlos kastriert. Die beiden verstanden sich sehr gut miteinander.

Unser Artikel endet mit einer großen Bitte an euch:

Wenn noch nicht geschehen, denkt bitte noch einmal darüber nach, eure Böckchen kastrieren zu lassen – im Sinne eurer Schweinchenjungs!!!

Bitte leistet auch in eurem Umfeld Aufklärungsarbeit, denn auch diese ist ein großer, wertvoller Beitrag für den Tierschutz!!!

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